Billy la Bufanda, Bye Bye Science & #Semipride

Woche 3: Back to School

An Tag #17 bestreite ich meinen ersten „Schultag“. Schultag in Anführungsstrichen, da der erste Schultag bloß von 11 bis 12 dauerte. Ganz der Neuankömmling versuche ich mich durch die Schülermassen hindurch zu schlängeln. Einige liegen sich in den Armen, andere stehen in größeren Gruppen zusammen und berichten sich gegenseitig über ihre Ferien. Mir wird klar, dass ich hier noch niemanden wirklich kenne, mal abgesehen von den vier anderen internationalen Schüler, die ich in der Woche zuvor getroffen habe. Aber keine Ahnung, wo die sich rumtreiben. Einigermaßen selbstsicher frage ich ein Mädchen, wo Homeroom 65 ist. Sie ist super nett und zeigt mir eine Liste auf der alles steht, was ich wissen muss. Für einen Moment habe ich das Gefühl, es sei doch nicht so schwer mit jemanden in Kontakt zu kommen, doch ich bin schon wieder abgeschrieben, als ein anderes Mädchen glücklich quietschend auf sie zu gerannt kommt. Ich bin nicht mal dazu gekommen nach ihrem Namen zu fragen.

Meinen Homeroom habe ich dann doch schnell gefunden, dank der vorherigen Schulführung. Erst war ich ziemlich ahnungslos. Der Raum mit der niedrigsten Nummer ist Raum 101. Anscheinend wurden die Zahlen für die Homerooms anders vergeben. Er befindet sich in einem improvisierten Klassenraum außerhalb des Gebäudes, genannt portable 6. Insgesamt gibt es 13 von diesen Portables, die aussehen als ständen sie normalerweise auf einer Baustelle und die kleinen Holztreppen sind bereits ausgetreten und lassen nie mehr als einen Schüler auf den Stufen zu (Letztens bin ich voll darauf ausgerutscht!). Der Grund für diese Art von Anbau ist der Wachstum der Schülerzahlen in den letzten Jahren. Surrey ist die am schnellsten wachsende Stadt in British Columbia und dementsprechend voll und groß sind auch die Schulen.

Im Homeroom treffe ich Emmanuele, der ziemlich verloren aussieht. Grund dafür ist die immense Ansammlung von Asiaten, die sich in absolut fremd klingenden Sprachen unterhalten und sich bereits zu kennen scheinen. Es dauert nicht lange, bis Erik dazu stößt, der andere Schüler aus Deutschland. Immerhin sind wir jetzt zu dritt. Und je länger ich mich im Raum umsehe, desto klarer wird mir, dass der Fakt, dass bloß 2% der Menschen auf der Erde blonde Haare haben, tatsächlich stimmt. Zu Hause ist die Hälfte meiner Freunde blond, in diesem Raum bin ich die einzige. Alle anderen sind braun oder meistens dunkler. Nur so am Rande, schwarz die häufigste aller Haarfarben, logischerweise.

Als ich später darauf warte abgeholt zu werden, treffe ich ein asiatisch aussehendes Mädchen, Kelly. Sie ist gerade aus Ontario hergezogen und neu an der Schule, genau wie ich. Wir haben uns super nett unterhalten und Nummern ausgetauscht und ich habe wieder die Hoffnung, nicht wie ein kompletter Loser beim Lunch alleine in der Cafeteria zu hocken.

Lektion #5: Das Kanadische Schulsystem

Die Schule unterscheidet sich doch sehr von der in Deutschland. Ich war ein wenig stutzig, als ich vor Anfang des Jahres bloß vier Fächer gewählt habe: Englisch, Spanisch, Mathe und Science. Ich habe jeden Tag dieselben Fächer, bloß in einer anderen Reihenfolge. Ich dachte erst ich würde mich ohne Ende langweilen, aber ich werde 3 Wochen, 4 Tests und 100 benotete Hausaufgaben und Aufgaben aus der Stunde später feststellen, das hier doch nichts einfach so larifari abläuft. Man belegt 4 Kurse pro Halbjahr und dadurch, dass man die Fächer jeden Tag hat, nimmt man den Stoff für ein Jahr = 6 Themen in einem Semester durch. Das Schulsystem gefällt mir wirklich viel besser als in Deutschland, wo man bis zu 13 Fächer belegt und sich vielleicht für zwei bis vier wirklich interessiert. Es gibt hier auch nicht weniger Hausaufgaben, in Mathe sind 10-20 Aufgaben aus dem (Fünfhundertseiten-) Buch für den nächsten Tag keine Seltenheit.

Nach der ersten Stunde Science war mir klar, ich bin in dieser Klasse eindeutig falsch. Nicht nur, dass bis zum Semesterende gar kein Biologie durchgenommen werden würde, die einzige Naturwissenschaft, die ich brauche und mit der ich mich einigermaßen identifizieren kann, ich verstehe auch kein einziges Wort. Ich weiß nicht mal, was Feuerlöscher auf Englisch heißt und Physik und Chemie ergibt für mich schon auf Deutsch keinen Sinn. Und Mathe war auch bescheuert, nur dass es da eher um meinen Sitzplatz ging. Ich war sehr früh da und habe mich neben ein anderes Mädchen gesetzt. Nach und nach trudeln auch die restlichen Schüler ein und ich merke, dass ich genau falsch sitze. Mittlerweile sind drei Freundinnen des Mädchens angekommen und sie fangen unablässig an Japanisch oder was auch immer zu reden. Hinter mir sitzt die gesamte Jungsfraktion und ganz auf der anderen Seite des Klassenraumes formatiert sich die Mädchenriege. Ich habe den bescheuertsten Platz überhaupt. Nach der Schule habe ich mich dann mithilfe von Simone „aus Versehen“ an der langen Schlange beim Councellor vorbeigemogelt. Wir sind nicht die einzigen, die unglücklich mit unserem Stundenplan sind. Statt Science habe ich jetzt Textiles, ein Kurs in dem man designen und nähen lernt. Das ist doch schon viel besser als Isotope und Halbwertszeiten! Dabei wurde ich auch in einen anderen Mathekurs versetzt, das fällt mir allerdings erst auf, als ich im Bus nach Hause sitze.

Woche 3: Im Alltag angekommen

Allmählich pendelt sich alles ein. Die Lehrer fangen ohne großes Trara mit dem Stoff an und alles läuft in gemäßigten Bahnen. In Textiles habe ich Rheya kennengelernt, die gerade aus Indien hergezogen ist. Sie ist hier genauso einsam wie ich, schließlich sind die anderen aus Italien alle ein oder zwei Stufen über mir und Erik ist zwar in meiner Stufe, hat aber ganz andere Kurse gewählt als ich. Dadurch dass ich in die neue Matheklasse gerutscht bin, haben Rheya und ich gleich zwei Stunden zusammen. Ich bin gerettet.

In Spanisch hatte ich in der ersten Woche drei Sitzpartner, bis endlich alle zufrieden mit ihren Kursen waren. Letztendlich sitzt Emily neben mir, die im Senior Volleyballteam spielt und gut singen kann. In dieser Klasse sind alle bereits in der Elften und ich bin nur hier, weil ich mit meinen Spanischkenntnissen trotzdem auf dem selben Level bin. Trotz alledem bin ich doch etwas unterfordert, als wir unter anderem Billy la Bufanda in Endlosschleife geguckt oder Geschichten über Beyonce geschrieben haben, die eine Überraschungsparty im Achtzigerjahre Stil für ihren Freund Jay Z schmeißt. Oder auch Shakira, die unbedingt Salsa tanzen lernen wollte…

Textiles entpuppt sich mehr als die Laberklasse, vergleichbar mit Kunst. Jeden Morgen beobachte ich die Gruppe von vier Mädchen wie sie sich ausgiebig schminken, eines der Mädchen trägt die Stunde über sogar einen Lockenwickler um ihren Pony in Form zu bringen. Ansonsten ist die Klasse aus allen Stufen gemischt und es haben sich auch ein paar Jungs hierher verirrt. Wir sind dabei einen Pyjama zu nähen, aber ich bin ganz schön im Zeitstress!

In Mathe ging es einfach los, da wir ein Thema durchgenommen haben, das wir schon in Deutschland hatten und ich komme mir vor wie ein Streber. Hier sind auch die besten Leute, sogar Erik gesellt sich ein paar Tage später dazu. Mein Lehrer hat einen sehr deutschen Namen, aber ich habe mich bis heute nicht getraut zu fragen, ob er denn auch aus Deutschland kommt. Ich gehe mittlerweile davon aus, dass es nicht so ist, sonst hätte er mit ziemlicher Sicherheit etwas gesagt. Immerhin macht er schlechte Witze und beginnt jede Stunde mit einem enthusiastischen „Do you wanna do some math? Yes you do!“ No, I do not. Not at all.

Und dann ist da noch Englisch. Englisch ist so ziemlich der Kurs, auf den ich am gespanntesten war, nur um dann etwas enttäuscht zu sein. Der Maßstab ist noch höher als ich gewagt hatte zu befürchten und wir fangen gleich an Paragraphe aus Essays (Das Deutsch hört sich falsch an) zu schreiben. Ich für meinen Teil habe noch nie in meinem Leben ein Essay geschrieben und so gerate ich ganz schön in Schwulitäten. In der ersten Stunde haben wir damit begonnen ein Gedicht über unsere Englischkenntnisse zu schreiben. Ich glaube ich klang dabei ein wenig verzweifelt… Und auch die Leute sind einfach nicht so offen und nett wie in den anderen Kursen. Das Mädchen zu meiner Rechten, Charly, kommt aus Holland, wohnt aber schon immer in Kanada, der Junge auf meiner anderen Seite, Kyle, hat noch weniger Ahnung von Englisch als ich und scrollt bevor es zur Stunde läutet immer laut lachend durch seinen Instagram Feed.

Die meisten sind erst mal überrascht wenn ich erzähle, dass ich aus Deutschland komme, aber ich glaube viele wissen gar nicht so wirklich wo unser kleiner Klecks auf der Landkarte überhaupt in Europa liegt. Ich hab schon so einige Fragen über mich ergehen lassen. Einmal habe ich von der häufigen Kälte an der Nordsee gesprochen, daraufhin „Aber Deutschland liegt doch gar nicht am Meer!“ Doch, Deutschland liegt sogar an zwei Meeren. Zwei andere Fragen waren „Bringt man euch in der Schule bei, dass Hitler gut war?“ Nein. Und „Gibt es Juden in Deutschland?“ Ja. Ich fühle mich schlecht, das hier überhaupt zu erwähnen, wirklich.

Vom Schülerbild her unterscheidet sich die Schule in Kanada nicht wirklich von Deutschland. Ich habe schon ein Mädchen montagmorgens mit dem Kopf auf dem Tisch in der Cafeteria schlafen sehen, als wir einmal früher aus dem Unterricht entlassen wurden. Es gibt einige Schüler, die sich wer weiß wie stylen und an denen jedes Kleidungsstück sitzt und kein Haar gekrümmt ist, andere, eindeutig die Überzahl, laufen in Jogginghose, ungeschminkt und mit weißen Socken in Birkenstockschlappen herum (Die kosten hier übrigens um die $80!).

Mit dem Mädchen, Kelly, die ich an meinem ersten Schultag getroffen habe, habe ich einmal zusammen Lunch gegessen. Sie sieht mich gelegentlich auf dem Gang und sie hat mich letztens beim Händewaschen im Mädchenklo erkannt. Ja, das habe ich bewusst so formuliert, denn ich erkenne sie nicht wieder. Ich weiß, ich weiß, das ist mies, aber die meisten Asiaten unterscheiden sich nicht so richtig vom Aussehen und an dieser Schule laufen wirklich viele Asiaten herum! Ich habe sie in den vier Wochen nur wenige Male gesehen, die ich an einer Hand abzählen kann und jedes Mal kam sie mir auf dem Gang entgegen und hat mir euphorisch zugewinkt, bis es bei mir endlich Klick gemacht hat.

Liebe Grüße, Pauline

P.S.: Meine Schule hat einen eigenen Snapchatfilter! Go Totems! #semipride

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